Zeitgedicht und Gedankenkammer. Verfahren der Kontinuität und Prozesshaftigkeit in "prosa meiner heimatstraße"
Abstract
Zwischen dem 29. April und dem 1. Mai 1988 nahm Wolfgang Hilbig, der zu der Zeit in Nürnberg wohnte, an einem Langgedicht-Seminar teil. Das Gedicht „prosa meiner heimatstraße“, das sich durch seine Überlänge – es umfasst 26 Seiten der Werkausgabe – auszeichnet und dessen Entstehungsdatum bis 1988 zurückreicht, ist höchst wahrscheinlich auf dieses Seminar zurückzuführen. Zu Wolfgang Hilbigs Lebzeiten erschien „prosa meiner heimatstraße“ nie als Gesamttext, sondern die Teile wurden einzeln, verstreut und wiederholt in Literaturzeitschriften, Jahrbüchern und Anthologien, gleichsam als vier Einheiten, zwischen 1990 und 1994 veröffentlicht. Im Publikationsmodus und Format werden Formen und Fragen erprobt, Aspekte schon angelegt, die später im Wortlaut und in der Form des Gedichts wiederzufinden sein werden: die Frage nach dem Prozess und der Kontinuität des Schreibens, die Frage der Zeitlichkeit und der Darstellung von Zeit, die Erkundungen nach einer dem historischen Umbruch passenden Form zwischen Lyrik und Prosa, die Suche nach neuen poetischen Möglichkeiten und Entgrenzungen, welche die im Text inszenierte Überschreitung der Grenze zwischen veröffentlichtem und unveröffentlichtem Material geradezu zu exemplifizieren scheint. Das lange Gedicht fungiert somit als poetologischer Schmelztiegel der Wendezeit. Ziel der folgenden Überlegungen wird es sein, dieser Prozessstruktur im Text nachzugehen, indem auf die Organisationsprinzipien des langen Gedichts besondere Acht gegeben wird. Dabei werden drei Ebenen berücksichtigt: die narrative Ebene, die Ebene des Assoziationsstroms und die Ebene der Werkgeschichte. Das Ganze steht unter der Schirmherrschaft der Hilbigschen Metapher der „Gedankenkammer“, die für das Selbstreflexive im Gedicht und die selbstreflexive Klammer stehen kann, welche die Zwischenzeit der Wende darstellt.
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Literature
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